02.09.2020 | geschrieben von Janosch Felde
Der Einstieg in das Thema agile Arbeitsweisen muss die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des agilen Arbeitens darstellen. Wenn Menschen das Spannungsfeld zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit spüren und verstehen können, dann verstehen sie auch die Vorteile und können differenziert über das Thema sprechen. Die Idee ist, nicht dogmatisch zu werden - und somit auch Andersdenkende abholen zu können ohne Fronten aufzubauen - denn es ist ja tatsächlich so, dass Agile Arbeitsweisen eben kein Allheilmittel oder des Heilands wahre Botschaft sind. Es sind Methoden mit Vor- und Nachteilen.
Besonderer Dank gebührt Ingo Rother, der F.a. Weber Maschinenbau, für die kritischen Anmerkungen und Denkanstöße, die in diesen Artikel eingeflossen sind
Zum Autor: Janosch Felde ist Psychosozialer Berater, Coach und Informatiker. Er hat in Softwareunternehmen und als Personalverantwortlicher des Bereichs Technik die Einführung und Weiterentwicklung agiler Arbeitsweisen auf Grundlage von Scrum, Kanban, OKR, Nexus uvm. über 10 Jahre beratend und im Projektcoaching kleine, mittlere und große Unternehmen begleitet.
Gleichzeitig gibt es horizontale Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Dabei geht es insbesondere darum, dass Projekte die verschiedenen Einheiten (auch Silos genannt) des Unternehmens einbeziehen. Diese stehen klar im Spannungsfeld zwischen vertikal eng gesteuert und agil: Flexibel, wandlungsfähig und iterativ neu geordnet. Oder anders: Ich kann in meinem Projekt auf eine plötzliche Verzögerung oder Marktveränderung agil reagieren indem ich z.B. durch Prioritätsverschiebung, Anpassung von Umfang oder Spezifikation, Leerlauf vorbeuge und Zeit gewinne, um mich neu zu orientieren oder zu ordnen. Jedwede Wirkung verpufft jedoch, wenn ich extern auf Bereiche angewiesen bin (z.B. auf ein Formteil Prototyp, ein Schaltplan, eine Software-Schnittstellenbeschreibung, eine Ressourcenübersicht etc.) die mich aber nicht unterstützen können, weil sie selbst Starr sind. „XYZ muss bis TTMMYYYY fertig werden! Es tut uns leid, aber wir haben keinen Spielraum“ – An diesen Stellen beißt sich die agile Schlange in den eigenen Schwanz. Manch einer spricht hier auch vom Kulturkampf zwischen agil und starr, der im Unternehmen brennt. Plansteuerungsstrukturen und langfristige Produktpläne, mit zeitlich gebundenen Arbeitspaketen, ersticken in ihrer Liebe zum Detail, dem Keim der flexiblen, schnellen, dynamischen Reaktion. Manch leidenschaftliche*r Mitarbeitende ist dabei schon auf der Strecke geblieben.
Zugleich: Der Prozess, um den es geht, hat nicht den Namen "agile Unterwerfung" oder "agiles kämpfen und pressen“, sondern "agile Transformation". Denn Transformation, also Verwandlung bedeutet: Aus der Raupe wird ein Schmetterling und das ist harte Anstrengung. Wenn in der Natur ein Schmetterling nicht durch den Kokon nach außen kriechen kann, dann kommen seine Flügel nicht in Form und er stirbt, da er nicht fliegen kann. Gleiches im Übrigen gilt, wenn die Raupe sich nicht rechtzeitig verpuppt und zum Schmetterling wird. Dann ist sie gemeinhin Vogelfutter.
Einerseits das Ideal des agil organisierten Arbeitens vor Augen zu haben und andererseits einen Alltag, der so anders ist? Wie macht man es, dass man sich nicht verbrennt, den guten Willen, die Energie, den Enthusiasmus, den Glaube daran, dass es anders besser geht nicht zu verlieren. Oder noch prekärer, wie kann es gehen, dass gerade, wenn das schon passiert ist, wenn Wunden da sind, man verbrannt ist, der Glaube schon verloren ist, man Kollegen, Mitarbeitende, die eigene Leitung und am Ende sich selbst neu startet, den Aufbruch doch noch einmal wagt?
An dieser Stelle geht es darum, was man wo und wie tun kann, wenn man auf Widerstände und Hindernisse trifft. Es geht darum, kommunikative, interaktionsbezogene und gegen “Verbrennen” und Motivationsverlust wirkenden Kompetenzen zu erwerben. Dies wird entscheidend für Erfolg oder Misserfolg sein.
Zur Verdeutlichung zeigt das Bild Organisationseinheiten als Rechtecke. In klassisch strukturierten Organisationen herrscht eine Harmonie darin, dass Einheiten ähnlich funktionieren z.B. durch vergleichbaren Aufbau (Mitarbeitende, Teams, Teamleads, HeadOfs, etc.).
Ein Teil der Organisation versucht nun plötzlich anders zu funktionieren, die Dinge anders anzupacken und anders zu strukturieren. Es passt nicht recht zur Struktur der anderen Organisationseinheiten. Der agile Teil steht separat, wodurch eine Harmonie und ein voneinander profitieren nicht recht in Gang kommen kann. In erster Linie wird man sich der gegenseitigen Unterschiedlichkeit bewusst und meist kehrt das ganze “Experiment agil” schnell wieder in den in Abb.1 beschriebenen Zustand zurück. Man hört dann oft “Ja, agil haben wir probiert aber hat nicht funktioniert” oder “Ja, war nicht durchzuhalten”.
Manchmal aber wird versucht die agile Transformation mit Gewalt durchzusetzen. Die natürliche Rückbewegung der Strukturen wird übergangen oder per “Befehl von Oben” verboten. Auf einmal müssen alle mit dem oder den agilen Organisationseinheiten zusammenarbeiten und alles gerät durcheinander. Man soll und will ja auch irgendwie, aber so richtig wissen, wie es gehen kann tut man nicht. Man ist hilflos und erzielt, um Erwartungen und Anordnungen gerecht zu werden, einen oftmals beträchtlichen Schaden an Ressourcen (Geld, Mitarbeitende, Motivation etc.), welcher dann aber auch das einzige Ergebnis bleibt. Agil auf Befehl funktioniert ungefähr so gut, wie lachen oder sich freuen auf Befehl. Entweder es kommt zu Bedingungen, unter denen sich die Dinge so entwickeln, oder eben nicht.
Entscheidend ist es also Bedingungen zu schaffen, in denen agile Transformation nicht nur möglich ist, sondern eine natürliche Bewegung in diese Richtung entsteht oder zumindest nicht gebremst wird und eher an Fahrt aufnimmt. Dafür ist essenziell, dass ein Verständnis für den Sinn und Zweck vorhanden ist, Mut um es anders als auf die bekannte Art zu wagen und Offenheit für neue Herangehensweisen. Außerdem muss eine klare Trennung zwischen der Rolle eines agilen Projektmanagers oder des Leiters eines agil organisierten Teams und einer Stabs- und Funktionsrolle, die für die agile Transformation im Unternehmen zuständig ist, geschaffen werden.
Agile Unternehmenstransformation durchführen und begleiten, also über kleine Schritte, überschaubare Erfolge und Misserfolge. Um das möglichst sinnvoll schaffen zu können, bedarf es guter Kenntnisse über Funktionsweise, Eigenheiten, spezifischen Herausforderungen, Schwächen und Stärken der Organisation. Zusammengebracht mit genug Kompetenz in agilen Methoden und Kommunikationsstärke, kann daraus gut ein Erfolgsrezept werden.